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Vor 26 Jahren starb Hans-Jürgen Rose. Nun kommt heraus: Sein Tod könnte in Verbindung mit dem Polizeirevier stehen, das Jahre später wegen des Todes von Oury Jalloh bekannt wurde. Roses Hinterbliebene haben nun vier Polizisten angezeigt.
Der Familienvater Hans-Jürgen Rose liegt Anfang Dezember 1997 unweit des Polizeireviers Dessau auf dem Gehweg.
Im T-Shirt, ohne Jacke, schwerstverletzt. Er ist zu diesem Zeitpunkt wohl bereits querschnittsgelähmt und erliegt am nächsten Tag seinen Verletzungen.
Sein Tod ist bis heute nicht aufgeklärt. Seine Verletzungen deuten auf einen Gewaltexzess hin.
Polizisten hatten den 36-Jährigen wegen Alkohol am Steuer mit aufs Revier genommen. Laut Akten verließ er dieses noch in der Nacht unversehrt.
Seinen Leichnam untersuchte damals Rechtsmedizinerin Uta Romanowski. Ihr Bericht zeigt: Rose wurde vor allem auf den Rücken, das Gesäß und die unteren Gliedmaßen geschlagen.
Die querförmig verlaufenden Blutergüsse passen zu Schlagstöcken, sagt Romanowski heute. “Das alles insgesamt stellte sich als Bild einer Misshandlung dar.” Es liege eine gutachterliche Äußerung von ihr vor, dass ein Polizeiknüppel dafür geeignet gewesen wäre.
Rose hinterließ eine Frau und drei Kinder. Seine Witwe Iris Rose hat nun vier der Polizisten, die damals im Dienst waren, wegen Mordes angezeigt. Unterstützt wird sie von der spendenfinanzierten Initiative “Recherche-Zentrum”, die seit Jahren zu Fällen von Polizeigewalt forscht.
https://www.recherche-zentrum.org/
Im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Kontrastesagt sie: “Wir hoffen darauf, dass es aufgeklärt wird. Vor allem die Mutti von Jürgen. Eigentlich lebt sie nur noch dafür, dass sie vielleicht das noch erleben und sagen kann: ‘Jawohl, es wurde einer zum Schluss verurteilt, einer bestraft für das, was ihr Sohn durchlebt hat.’”
Die Anzeige stützt sich auf neue Erkenntnisse: Offenbar sind Unterlagen von jener Nacht 1997 manipuliert worden.
Es geht um das Logbuch der Polizeiwache, den sogenannten Lagefilm. Darin werden eingehende Anrufe, Einsätze und Aufenthalte auf der Wache protokolliert.
So stellt der renommierte britische Schriftgutachter John Welch in einem Gutachten fest: “Die Unkenntlichmachung einiger Einträge ist offensichtlich: Es gibt Hinweise auf andere Änderungen, die heimlich vorgenommen wurden.” Insbesondere die Zeiten, die Rose betreffen, seien wahrscheinlich nachträglich manipuliert worden, so der Gutachter.
Rose war in jener Nacht betrunken mit dem Auto gefahren und hatte einen Blechschaden verursacht. Zwei Polizisten stellten bei einem Atemalkoholtest 1,98 Promille fest und nahmen ihn zur Blutentnahme mit auf die Wache. Um 3.01 Uhr wurde er schließlich entlassen, so zumindest steht es im Logbuch.
Eine Minute später bereits wollen ihn zwei andere Beamte wieder fahrend gesehen haben. Der Fußweg zu Roses Auto beträgt jedoch etwa 7 Minuten - ein Widerspruch, der bis heute unaufgeklärt ist.
Diese möglichen Manipulationen hätten auch bei den Ermittlungen auffallen müssen, meint Thomas Feltes. Der Kriminologe und Polizeiwissenschaftler sieht ein Versagen der Staatsanwaltschaft: “Das ist für mich einer der tatsächlichen Skandale in diesem Verfahren, weil das eine Urkundenfälschung ist von Amtsträgern, die nachträglich Aufzeichnungen geändert haben. Das hätte in meinen Augen ein Staatsanwalt, der die Ermittlungsakten sich gründlich ansieht, merken müssen”, so Feltes. Entweder habe er es gemerkt und verschwiegen oder sich die Unterlagen nicht gründlich angesehen.
Roses Tod ist nicht der einzige Fall, der im Zusammenhang mit dieser Polizeiwache steht. 2002 wurde Mario Bichtemann in seiner Zelle tot aufgefunden.
Die Ursache: Schädelbasisbruch. In derselben Zelle verbrannte drei Jahre später Oury Jalloh, gefesselt an Händen und Füßen.
Die Beamten behaupten, er habe sich selbst angezündet. Der Fall hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt und zu großen Protesten geführt.
In allen drei Fällen standen Polizisten des Reviers im Fokus. Alle drei Fälle konnten nie vollständig aufgeklärt werden. Die Ermittlungen im Fall Rose wurden 2002 ergebnislos eingestellt.
Rund zehn Jahre später tauchte der Name Hans-Jürgen Rose zufällig im Oury-Jalloh-Prozess auf. Ein Zusammenhang zwischen den Fällen schien möglich. Unter dem Druck der Öffentlichkeit ermittelte die Staatsanwaltschaft erneut, stellte das Verfahren 2014 aber wieder ein.
Haben die Polizisten, die damals mit Rose zu tun hatten, eine schlüssige Erklärung für die Widersprüche in den Akten? Ein Polizist, der 1997 als Erster am Fundort von Rose war und in Zeugenaussagen seine Kollegen belastet hat, möchte sich öffentlich nicht äußern. Er habe bereits alles gesagt, sagt er im Gespräch mit Kontraste.
Ein Zweiter schreibt, er sei “sehr daran interessiert, dass der Tod von Jürgen Rose aufgeklärt wird”. Er würde “zu gegebener Zeit Antworten geben”.
Ein dritter Polizist antwortet auf die Bitte um eine schriftliche Stellungnahme per SMS: “Träumt weiter”.
Sympathisch.
Der Anwalt von Iris Rose fordert, das Verfahren neu aufzurollen und die verdächtigen Polizisten als Beschuldigte zu verhören: “Wir gehen von mindestens drei Tötungsverbrechen aus, die jeweils in der Nachtschicht dieses Reviers teils auch mit personellen Überschneidungen von einzelnen Beamten begangen worden sein könnten”, sagt Sebastian Scharmer.
Bei der Staatsanwaltschaft Dessau-Roßlau ist man zu keinem Interview bereit. Schriftlich heißt es, man könne die Fragen nicht beantworten, weil die Akte derzeit beim Generalbundesanwalt liege. Der wird nun entscheiden, ob der Fall noch ein drittes Mal aufgerollt wird. Damit könnte möglicherweise herausgefunden werden, was Hans-Jürgen Rose in jener Nacht passiert ist.
Iris Rose fürchtet, es könnte noch weitere Fälle geben. Auch deshalb wendet sie sich nun an die Öffentlichkeit: “Ich mach’ das für uns alle und vielleicht für andere noch, die dann eben auch irgendwas dort erlebt haben, in diesem Polizeirevier. Vielleicht haben die dann den Mut und sagen jawohl, wir melden uns auch noch.”